Ich weiss ja nicht, ob das allen Seglern so geht, aber wenn man im Vorfeld einer Atlantiküberquerung die Biskaya hinter sich hat, ist ein guter Moment gekommen, um, nun ja, seine Wunden zu lecken. Zu schauen, was es an Verlusten gab, was noch funktioniert und was nicht, und wie die Stimmung in der Mannschaft ist.
Bestandsaufnahme
An Schäden und Verlusten gibt es ja einiges zu berichten mittlerweile. Der Wassereinbruch und der darauffolgende Ausfall der Heizung im Backbordbug ist so eine Sache. Die Motorsteuerung ebenso. Der Wassermacher funktioniert immer noch nicht wirklich, eine Rettungsinsel ist weg, ein Klodeckel kaputt, und so weiter und so fort.
Dass wir an einem frühen Sonntagmorgen in A Coruña angekommen sind, ist insofern ein Glücksfall, da vieles nur an Werktagen läuft, und wir daher erstmal einen relativ ruhigen Sonntag verbringen können, was wir auch bitter nötig haben. Um auszuschlafen und die Motivation wieder „auf Kurs“ zu bringen.
Nun hat Jan zwar in Santander das Boot verlassen, er steht aber nach wie vor zur Verfügung, um uns von zu Hause aus zu unterstützen. Das darf er jetzt auch: Für den morgigen Montag muss die erste Motorwartung (die nach 50 Motorstunden fällig wird) organisiert werden. Darüberhinaus wird der Crewwechsel von Funchal nach Lissabon vorgezogen, da Dieter, Urs und Wlad aus Zeitgründen (dank unserer Verspätung) dort von Bord gehen wollen, und wir die Etappe nach Madeira nicht zu dritt in Angriff nehmen wollen. Auch nicht zu viert, denn wir machen Jan auch klar, dass er ab Lissabon wieder an Bord kommen sollte. Zumindest bis zu den Kanaren.
All dies benötigt von unserer Seite lediglich ein längeres Telefonat; den Rest des Sonntags verbringen wir dann einigermaßen stressfrei mit den üblichen Arbeiten, die zum Boatlife gehören. Boot säubern und das Deck von Salzwasser befreien gehören ebenso dazu wie Trinkwasser tanken. Die Batterien aufladen nicht, denn auch hier passt unser 64-Ampere Kabel mit dem oberschenkeldicken Stecker nicht auf die vorhandenen Steckdosen am Pier. Halb so wild, denn da wir fast auschliesslich unter Motor hierher gefahren sind, sind auch die Batterien gut gefüllt. Und einen Generator haben wir ja auch an Bord. Das ist so der Luxus auf einem Katamaran dieser Größe.
„November Rain“ in A Coruña
Am Spätnachmittag nehme ich mir trotz des schlechten Wetters die Zeit, ein bisschen die Stadt zu erkunden. A Coruña gehört aufgrund seiner Lage an der Nordwestecke Spaniens zu den Orten, die von (zukünftigen) Transatlantikseglern eigentlich immer angefahren werden. Für mich klingt der Name allein daher schon ein wenig nach Aufbruch und Abenteuer.
Bei Regen im November sieht die Realität natürlich ein bisschen anders aus als man mitunter erwartet. Fast alle, die dieses Jahr noch über den Atlantik wollen, sind schon weg, mal abgesehen von einem noch größeren Kat auf dem Liegeplatz direkt neben uns. Die normalen Touristen genauso, so dass die Innenstadt ziemlich leer und trist ist. Ich drehe trotzdem meine Runde, versuche ein bisschen was von den hiesigen Sehenswürdigkeiten zu sehen, und schaffe es im einsetzenden Regen rechtzeitig zum Abendessen, wieder auf Ketoupa zu sein. Im Folgenden ein paar Fotos der Stadt.
Am Montagmorgen kommen dann die bestellten Techniker zur Motorwartung. Damit hier keine falschen Hoffnungen entstehen: es geht ausschließlich um die mechanische Wartung, mit einem ersten Ölwechsel. Die dazugehörige Rechnung von etwas über 500 Euro zeigt aber, dass der durchschnittliche Yachtbesitzer sicher nicht arm sein kann. Zum Glück werden wir das Geld von Dream Yacht Charter zurückbekommen. Unser Problem mit dem wiederkehrenden Ausfall des Backbordmotors ist jedoch ein elektrisches, über das wir nach und nach immer mehr lernen, das aber nichtsdestotrotz bestehen bleibt.
Aufbruch nach Süden
Am frühen Nachmittag des 18. November heißt es „Leinen los“. Ich stehe am Ruder, und die durchaus immensen Größenunterschiede zwischen Wasserfahrzeugen werden mir klar, als Peter sagt „Den Tanker an Steuerbord hast du aber gesehen, oder?“ Nee, habe ich nicht, da war nur irgendwie eine riesige Wand, die mein Logikverständnis gar nicht einzuordnen, geschweige denn als Schiff zu identifizieren wusste. Na, drehen wir eben eine Extrarunde und lassen dem Tanker mitsamt seinen Schleppern den Vortritt.
Bei Flaute geht es raus aus der Marina, im Prinzip dem Tanker hinterher raus auf den Atlantik. Die Sonne scheint, sommerlich warm ist es trotzdem nicht. Eigentlich wird es ein ganz angenehmer Nachmittag. Zwar unter Motor, aber mit einem schönen Sonnenuntergang, sowie ein paar Delphinen, die uns streckenweise begleiten. Leider hält das Ganze nicht lange an. Westlich von Vigo zieht wird es in der zweiten Nachthälfte wieder stürmisch, mit Wind aus Süden. Ist das denn zu fassen? Es ist kalt, nass und wir haben Gegenwind. Das Boot stampft wieder wie in besten Biskaya-Zeiten, Wlad hat erneut mit Seekrankheit zu kämpfen, und ich habe auch schon keine Lust mehr. Urs würde gerne schon in Porto von Bord, aber diesen Abstecher machen wir dann doch nicht, weil es wieder einen Zeitverlust bedeuten würde.
Stattdessen reisst etwa auf Höhe von Porto eine der Leinen, mir der unser Dinghi befestigt ist – aufgrund der ständigen Stöße und Wellenbewegungen ist es durchgescheuert. Im Gegensatz zur Rettungsinsel geben wir aber das Beiboot nicht auf, mit vereinten Kräften ziehen wir es halbwegs auf den Backbordrumpf und verzurren es ordentlich. Nochmal etwas gelernt – nämlich wie man ein Beiboot auf dem offenen Meer nicht befestigt. Und auch wenn es dieses Mal gut gegangen ist, fühlt sich Peter zu dem Spruch „Hier folgt eine Katastrophe der anderen“ veranlasst, der natürlich im Gedächtnis haften bleibt.
Segeln UND Sonnenschein
Nach dieser Aufregung kämpfen wir uns weiter durch die Wellen westlich von Portugal, in der Hoffnung, dass es einfach irgendwann besser werden muss. Das tut es dann letztlich auch, interessanterweise westlich von Nazaré, das den Big Wave-Surfern ein Begriff sein sollte. Zwei Tage nach Abfahrt in A Coruña setzen wir tatsächlich auch mal die Genua, und am Spätnachmittag schreibe ich auf Instagram „Segeln UND Sonnenschein. Zur gleichen Zeit…“ Ich glaube, das sagt schon einiges.
Bei der Einfahrt in der Marina Cascais, westlich von Lissabon, bekommen wir für die Nacht nur noch am Tanksteg einen Platz. Trotz des relativ angenehmen Nachmittags sind wir eigentlich alle völlig fertig. Der Häufung von Katastrophen, wie Peter sich ausdrückte, dem Schlafmangel, und Spannungen innerhalb der Crew müssen wir nun Tribut zollen. In der Praxis wirkt sich das so aus, dass an dem Abend noch diverse Weine, Biere und eine Flasche Pastis geleert werden, so dass wir am nächsten Morgen nicht nur mies gelaunt, sondern auch noch mit einem mittelprächtigen Kater aufwachen. Und so werden uns dann die neuen Crewmitglieder zu sehen bekommen.