Im Jahr 1999 gab es in Mitteleuropa eine totale Sonnenfinsternis – die aber vielerorts durch Wolken und Regen getrübt wurde. Ich war seinerzeit zum Wandern in den Pyrenäen unterwegs, und hatte die Sonnenfinsternis vollkommen vergessen, bis… ja, bis mir nachmittags auf einmal kalt wurde. Trotz strahlendem Sonnenschein. Denn in Nordspanien war jene Verfinsterung immer noch partiell…

Zwanzig Jahre später steht nun wieder eine totale Sonnenfinsternis im Kalender, in meiner Wahlheimat Chile. Noch dazu im Süden der Atacama-Wüste, in der Nähe des La Silla-Observatoriums, wo man statistisch gesehen schon relativ häufig gutes Wetter erwarten sollte. Also haben wir während meines (diesmal relativ kurzen) Besuchs in Chile auch einen Finsternis-Aufenthalt in La Serena/Coquimbo, in Chile’s IV. Region, mit eingeplant.

Grillen im Winter

Einziger Nachteil einer Sonnenfinsternis in Chile im Juli ist die Tatsache, dass sie im hiesigen Winter stattfindet. Dass wir also den enormen Strand, der die beiden Städte La Serena und Coquimbo entlang der Avenida del Mar bzw. Avenida Costanera miteinander verbindet, nicht zum Baden nutzen können, war uns klar. Wie kalt es aber wirklich werden kann, dürfen wir zwei Tage vor der Finsternis beim Grillen (!) erleben. Ein befreundetes Ehepaar hat sich nämlich nicht wie wir in einem Apartment in einer der beiden großen Küstenstädte einquartiert, sondern eine Cabaña (ein kleines Häuschen mit einem oder zwei Schlafzimmern) in den Bergen gemietet.

Cabana im Elqui-Tal
Cabaña im Valle de Elqui

Das hier gelegene Valle de Elqui ist vor allem durch den vor Ort produzierten Pisco überregional bekannt. Aber auch für seine Rolle in der Populärastronomie sowie der Astrologie und Esoterik. Daher spielen sich im Umfeld der dort vorhandenen kleinen Observatorien auch eine Vielzahl an Veranstaltungen im Rahmen der zu erwartenden Sonnenfinsternis ab. Die Städte sind voller Touristen, Hotelzimmer waren schon lange kaum noch zu bekommen, und eigentlich haben unsere Freunde noch Glück gehabt. Eigentlich. Denn in ihrer Cabaña auf etwa 1.600 Metern Höhe, oberhalb des bekannten Ortes Pisco Elqui gelegen, funktioniert der Kamin nicht. Wir verziehen uns also nach dem Grillen nicht wie geplant nach drinnen, sondern bleiben die halbe Nacht draußen am Grill stehen. Bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt. Es wird zwar ein lustiger Abend, dennoch bin ich fast froh, als wir wieder nach Coquimbo zurückkehren, wo sich unser gemietetes Apartment tagsüber durch die Nordfenster ausreichend aufgewärmt hat, um zumindest uns eine angenehme Nacht zu ermöglichen.

Finsternistourismus

Den Montag verbringen wir gemütlich in La Serena, mit einem Strandspaziergang und einem Besuch im Zentrum. Es ist sonnig, und die Touristenpräsenz im Umfeld der Finsternis ist vergleichbar mit einem langen Wochenende im Hochsommer. Das ist nicht nur für die Vermieter von Ferienwohnungen ein gutes Geschäft, sondern auch für die unzähligen Verkäufer von Souvenirs.

Wir haben uns gestern schon auf dem Weg ins Hinterland mit den beinahe obligatorischen T-Shirts eingedeckt. Aber es gibt noch mehr: Kappen, Schlüsselanhänger, Kaffeetassen, Kühlschrankmagnete, und so weiter und so fort. Alle mit irgendeinem Foto einer Sonnenfinsternis sowie dem aktuellen Datum, Ort oder ähnlichem. Wie viele andere decken wir uns auch hier nochmal mit sowas ein, denn – so wird sich am folgenden Tag herausstellen – eine totale Sonnenfinsternis ist wirklich ein einmaliges Erlebnis.

Mit den Touristenströmen kommen natürlich auch deren Schattenseiten ans Licht: Viele Vermieter haben die Preise für diese zwei, drei Nächte drastisch erhöht (statt 60 Euro pro Nacht für eine kleine Ferienwohnung verlangen sie auf einmal 300 oder mehr), der öffentliche Personenverkehr in die Hauptstadt bricht für zwei Tage zusammen, und manche brauchen im Auto für die 480 Kilometer Rückweg nach Santiago bis zu 15 Stunden. Ich nehme mal vorneweg, dass wir durch kluge Wahl der Abfahrtszeit davon verschont bleiben werden.

Der große Tag

Am Dienstag ist es dann soweit: Um 15:22 soll der Mond die Sonnenscheibe berühren, um 16:39 ist die Totalität, und um 17:46 soll alles wieder vorbei sein. Irgendwie wie bei der Tour de France, wo man die Werbekarawane und die Vorbeifahrt der Fahrer mitbekommen will und auch alles recht schnell vorbei ist.

Am Vormittag spazieren wir nochmal gemütlich am Strand entlang, diesmal Richtung Coquimbo. Nach knapp zwei Kilometern sind wir dann im Zentrum des Geschehens. Live-Musik, Finsternis-Markt, Essens-Stände, … die Stadt Coquimbo hat tatsächlich ganz gut aufgefahren. Auf dem Weg sehen wir auch schon etliche Hobby-Astronomen und Fotografen, die sich schon mit ihren Kameras und Teleskopen positioniert haben. Da wir noch etlich freie Flächen am Strand gesehen haben, machen wir uns aber keine Panik. Erst am frühen Nachmittag begeben wir uns mit allem möglichen Equipment an einen Punkt, von dem aus wir eine gute Sicht Richtung Westen haben. Zwei Sony-Fotokameras, eine GoPro, Stative, Sonnenschutzfolie und die unvermeidlichen Schutzbrillen sind mit dabei. Genauso wie ein warmer Pullover, auch wenn es im Moment bei Sonne und knapp zwanzig Grad recht angenehm ist.

Um kurz vor halb vier geht es tatsächlich los, die Sonnenscheibe bekommt links unten eine Delle, was man sowohl mit den Schutzbrillen, als auch auf meiner mit einer Schutzfolie präparierten Kamera beobachten kann. Solange es noch so gemächlich voran geht mit der Finsternis, plaudern wir mit Kollegen von Sandra, die auch vor Ort sind. Ich schicke ein paar Whatsapp rum an Freunde und Verwandte, die nicht hier sind, und die Vorfreude steigt.

Ab vier Uhr wird es merklich kühler, und irgendwie auch „schattiger“, wenn man letzteres auch nicht wirklich quantifizieren kann. Aber es ist, als ob die Sonne schwächer wäre, ähnlich dem Gefühl, das ich schon 1999 erleben durfte. Ohne die Schutzbrillen sieht man an der Sonne noch nichts, und wird es auch nicht bis unmittelbar vor der Totalität. Dafür ist die Sonnenstrahlung einfach zu intensiv, auch wenn jetzt schon mehr als die Hälfte der Sonnenscheibe vom Mond verdeckt wird.

Sonnenfinsternis 2019 Coquimbo
Sonnenfinsternis 2019 Coquimbo

Dann, um 16:39 Uhr, ist es soweit. Einige applaudieren, und das auch noch vor dem Beginn der Totalität. Andere werden stumm. Oder sprachlos. Als sich der Mond vollkommen vor die Sonne schiebt, bin ich beides. Und überwältigt. Man kann jetzt auch ohne Schutzbrille in die Sonne schauen, und die Situation ist einfach Wahnsinn. Man kann mit Worten gar nicht beschreiben, wie ich mich in diesem Moment fühle. Ich mache noch ein paar Fotos, bevor ich mich von der Situation, der Stimmung, dem Ganzen überwältigen lasse. Es ist schweinekalt geworden, aber diesen Moment muss man trotzdem genießen. Zu einhundert Prozent. Ich bin in diesen zwei Minuten dabei, etwas Einmaliges zu erleben, etwas Gigantisches und etwas Unvergessliches. Ich fühle mich den Elementen und dem Kosmos verbunden.

Sonnenfinsternis 2019 - Dritter Kontakt
Sonnenfinsternis 2019 – Dritter Kontakt

Wenn sich das jetzt etwas esoterisch anhört: wer jemals eine totale Sonnenfinsternis erlebt hat, versteht mich. Als der Spuk nach zwei Minuten vorbei ist, sind meine ersten Gedanken „Schade. Noch einmal, bitte!“, wohlwissend, dass mir dieser Wunsch nicht gewährt werden wird. Aber im Dezember 2020 steht schon die nächste totale Sonnenfinsternis an, in Pucón. Während der Mond die Sonnenscheibe nach und nach wieder freigibt, machen sich viele schon auf den Weg nach Hause. Wir bleiben nicht nur bis zum Ende der Finsternis, sondern noch bis nach dem kurz darauf folgenden Sonnenuntergang.

Sonnenuntergang in Coquimbo
Sonnenuntergang in Coquimbo

Magische Momente, die wir hier heute erleben. Erst dann packen wir zusammen und machen uns auf dem zwanzigminütigen Heimweg. Vollkommen durchgefroren kommen wir an, aber es hat sich gelohnt. Und danach gehen wir auch nicht mehr vor die Tür. Wir packen ein wenig unsere Sachen, und wärmen uns mit einer Flasche guten chilenischen Rotweins wieder auf. Am Ende war es die richtige Entscheidung, die Finsternis vom Strand in der Nähe unseres gemieteten Apartments anzuschauen, und nicht irgendwo ins Hinterland oder weiter in die Wüste zu fahren. Eine ehemalige Kollegin, mit der wir uns an diesem Abend hätten treffen wollen, wird noch mehrere Stunden im Stau verbringen, auf dem Rückweg von La Silla nach La Serena.

Unsere Heimfahrt am nächsten Morgen nach Santiago verläuft relativ ereignislos, im Gegensatz zu anderen haben wir keinen Mega-Stau zu vermelden. Ein rundum gelungenes Erlebnis. Ich kann jedem, in dessen Nähe eine totale Sonnenfinsternis angekündigt ist, nur empfehlen, diese im Totalitätsbereich zu erleben. Die Erfahrung ist eine vollkommen andere und unvergleichlich.

Zum Glück haben wir in Chile schon im Dezember 2020 wieder die Gelegenheit.

Stadien der Sonnenfinsternis 2019
Bedeckungsstadien der totalen Sonnenfinsternis 2019