2012 war ich zum ersten Mal in Pichidangui. Damals hatte ich hier meine ersten Tauchgänge in Chile unternommen. Und seit zwei Freunde, Linda und Alejandro, hier ihre Tauchbasis installiert haben, bin ich eigentlich ein regelmäßiger Gast in diesem Fischerdorf, knapp 200 Kilometer nördlich von Santiago.
Bereits vor einem Jahr hatte ich geplant, das ein oder andere (verlängerte) Wochenende hier zu verbringen. Auf dem hiesigen Campingplatz ein Zelt aufbauen, ein bisschen tauchen, ein bisschen radfahren. Damals kam mir leider ein Autounfall dazwischen. Für das erste Wochenende des Jahres 2019 hatten sich nun einige Leute aus Lindas Umfeld angekündigt, die neben dem Tauchen vor allem eine nette Zeit haben wollten. Und da haben wir uns natürlich eingeklinkt.
Erstmal ausspannen
Pichidangui liegt auf einer Halbinsel, die eine kleine Bucht nach Süden hin abschließt. Das ist bei dem hier vorherrschenden Südwestwind ideal, hat aber bei Nordwind den Effekt, dass die Wellen in die Bucht laufen und das Wasser mit Sedimenten verwirbeln. Bei unserer Ankunft am Samstag ist die Sicht unter Wasser so schlecht, dass erstmal niemand tauchen will. Wir checken also erstmal auf dem Campingplatz „El Bosque“ ein, der sich als sehr nett herausstellt. Und während die Stellplätze in Strandnähe alle voll sind, bekommen wir etwas weiter hinten einen schönen Platz im Eukalyptus-Wald. Hier lässt sich’s aushalten.
Am Abend treffen wir uns noch auf ein BBQ im Haus eines Freundes aus der Tauch-Szene, das er erst vor ein paar Tagen gekauft hat. Das Haus liegt direkt hinter dem Yacht-Club von Pichidangui, quasi in der Pole-Position des Dorfes. Leider kommen wir etwas spät dazu, als die meisten anderen sich schon fast wieder auf den Heimweg machen. Es wird aber trotzdem ein netter Abend, und wir verabreden uns schon direkt für das nächste BBQ am Sonntag im Océano Dive Center.
Auch am Sonntag tauche ich nicht, sondern mache mir mit Sandra einen ruhigen und entspannten Tag. Ein Strandspaziergang, ein Besuch des Kunsthandwerkermarktes, eine Empanada mit Garnelen-Käse-Füllung… Nichtstun kann manchmal so entspannend sein. Vor dem abendlichen BBQ muss ich Sandra noch zum Busterminal nach Los Vilos bringen. Die Ärmste muss morgen arbeiten und fährt daher heute mit dem Bus zurück, während ich noch bis Dienstag hierbleibe.
Nachttauchgang am Vormittag
Eines der Themen während des BBQs am Sonntag war die Sicht unter Wasser, und die Hoffnung, dass es morgen besser sei… Und so geht es am Montag um halb zehn auf’s Wasser. Ich tauche mit Romain, einem französischen Astronomen, und Alejandro als Guide. Als wir im Wasser sind, meint Romain „Schau mal runter“, was ich auch tue, und die einzige Antwort, die mir in den Sinn kommt, ist „Oh shit!“ Die Sichtweite ist nicht besser als gestern, zwei bis drei Meter etwa. Beim Abtauchen frage ich mich nach dem Sinn des Ganzen, und kann voll und ganz verstehen, dass weniger erfahrene Taucher bei dieser Sicht in Panik geraten können.
Zumindest zwei von uns haben eine Lampe dabei, und die Luftflaschen schimmern ein wenig, so dass wir uns nicht verlieren. Das Ganze entwickelt sich zu einem prima Trainingstauchgang: Orientierung fast ohne Sicht, und die Tauchpartner nicht aus den Augen zu verlieren – das sind die Ziele für heute. Fische sieht man vor allem als dunkle Schatten vorbeihuschen. Dennoch finden wir eine Art Tunnel auf 26 Metern Tiefe, der so eng ist, dass Romain, der mit Sidemount-Konfiguration taucht, eine seine Flaschen abkoppeln und separat durch den Tunnel schieben muss. Danach geht es langsam wieder aufwärts, und mit einem fünfminütigen Dekompressions-Stop sind wir insgesamt fast eine Dreiviertelstunde unter Wasser.
Auch zu einem zweiten Tauchgang lasse ich mich noch überreden. Danach sage ich mir aber, dass ich doch lieber mal bei besseren Bedingungen wiederkomme. So verabschiede ich mich von meinen Tauchkumpels, und wechsle für den Rest dieses Tages sowie den ganzen kommenden Tag vom nassen Element aufs Fahrrad.
Neue Herausforderungen
Scbon des öfteren waren wir von Pichidangui aus mit dem Rad im Quilimarí-Tal unterwegs, das von der Küste ins Hinterland führt. Es gibt dort im Prinzip eine zum Großteil geteerte Haupstraße durch das Tal, sowie einige (ungeteerte) Pisten in Seitentäler hinein. Was wir bisher noch nicht gemacht hatten, war ein Aufstieg auf den Cerro Santa Inés, der mit seinem sehr oft von Wolken verborgenem, 700 Meter hohen Gipfel prominent in Küstennähe liegt. Das wird mein Ziel für diesen angefangenen Tag.
Die ersten paar Kilometer sind noch ganz gut machbar, aber schon bald wird es so steil, dass ich selbst in der kleinsten Übersetzung nicht mehr voran komme. Also absteigen und schieben. Und das passiert mir noch öfters auf dem Weg zum Gipfel. Die letzten drei Kilometer werden also eher ein Wandertag, dazu wird es wolkig, kalt und windig. Daher bleibe ich auch nur kurz oben, und auch die Abfahrt kann ich kaum genießen, da einige Abschnitte so steil sind, dass ich es selbst auf dem Weg nach unten vorziehe, abzusteigen und zu schieben. Das Fazit dieses Ausflugs: Gut, dass man mal auf dem Gipfel war, aber wirklich Spaß gemacht hat es eigentlich nicht.
Zurück auf dem Campingplatz gibt es erstmal ein kaltes Bier und dann eine warme Dusche. Und zum Abendessen statt der eigentlich geplanten Fertignudeln lieber nochmal eine Empanada mit Garnelen und Käse, sowie den von gestern übriggebliebenen chilenischen Rotwein. Satt und zufrieden geht es dann in die Koje (sprich: Schlafsack), mit der Hoffnung, dass es morgen sonniger und wärmer wird.
Und die Hoffnung wird nicht enttäuscht. Bis in das Dorf Tilama ist es mit dem Rad eine bekannte Strecke, knapp 47 Kilometer. Doch statt dort den Rückweg anzutreten, biege ich rechts ab, bergauf Richtung Süden. In Richtung eines Tunnels, von dem mir meine Radsportfreunde schon öfters erzählt hatten. Und dieser Teil hat es in sich. Eine Wellblechpiste erster Güte, staubig obendrein. Und dazu kommt das Gelände: Auf den ersten 47 Kilometern heute ging es von Meeresniveau bis auf etwa 500 Höhenmeter, und auf den nun folgenden zehn Kilometern bis zum Tunnel geht es dann noch einmal 500 Meter hoch.
Im Grunde ist die Straße, auf der ich mich gerade befinde, für Radfahrer eine prima Alternative zur Panamericana (Ruta 5). Letztere ist eine Autobahn, mit dem dementsprechenden Verkehr. Dadurch auch nicht ganz ungefährlich und mit eher kleinem Genussfaktor. Diese Straße hier verläuft dagegen parallel dazu im Hinterland, von Santiago aus über San Felipe und Illapel nach Norden bis nach Ovalle. 500 Kilometer Einsamkeit und Abenteuer statt Autobahn und Stress. Und im Moment werden auch immer weitere Abschnitte asphaltiert, so dass eine Tour hier weniger staubig wird. Weltumradler und ähnliche sollten sich das notieren, bevor sie den Kontinent in Süd-Nord-Richtung (oder umgekehrt) durchqueren.
Für mich geht es nach Erreichen des Tunnels, der die Regionen Coquimbo und Metropolitana in Chile verbindet, wieder zurück nach Pichidangui. 112 Kilometer sind auch nicht schlecht. Nach der Dusche auf dem Campingplatz gibt es heute kein kühles Blondes, immerhin warten noch 200 Kilometer Autofahrt auf mich. Alles in allem wurde es dann doch noch ein gelungenes (langes) Wochenende, trotz der miesen Sichtverhältnisse unter Wasser. Und ich denke, in ein paar Wochen werde ich zum Tauchen eh wieder hier sein.