Wer eine Karte oder Luftaufnahme der Ilha Grande sieht, dem fällt recht schnell auf, dass die beiden längsten Strände der Insel (die Praia do Sul und die Praia do Leste) im Südwesten liegen. Nicht nur fernab der touristisch am meisten erschlossenen Ortschaft Abraão, sondern auch innerhalb eines Schutzgebietes, der „Reserva Biológica da Praia do Sul“.
Dieses Schutzgebiet wurde 1981 geschaffen zum Schutz des terrestrischen Ökosystems, und kurz darauf um den Aventureiro Marine Park erweitert, der die gesamte Bucht vor der Praia do Sul und der Praia do Leste umfasst. Nun ist der Schutz des hiesigen Ökosystem ein hohes Ziel. Der Tourismus in Aventureiro litt allerdings darunter, so dass das Dorf seit einigen Jahren nicht mehr im Schutzgebiet selber liegt, sondern in einem Bereich des „Sustainable Development“. Erst dadurch war es wieder möglich, legal diverse Pousadas und Campingplätze anzubieten.
Für mich bedeutet das nun erstmal vor allem, dass ich zur Fortsetzung meiner Wanderung entlang der beiden Strände eine Genehmigung benötige. Diverse Berichte, die ich im Vorfeld im Internet gefunden habe, erwähnen diese Genehmigung allerdings kaum. Und auch Luis vom Campingplatz erwähnt das Thema nicht, als ich mich mit ihm über meinen Plan unterhalte, von hier nach Parnaioca weiterzuwandern. Meine Schlussfolgerung: Man benötigt zwar die Genehmigung, aber keiner hat sie, und trotzdem umrunden viele die Insel.
Bom dia, Ranger
Inwieweit dies den Tatsachen entspricht, werde ich nicht herausfinden. Beim Frühstück taucht allerdings eine uniformierte junge Frau auf dem Zeltplatz auf, und unterhält sich eine Weile mit Luis. Wie sollte es anders sein, es handelt sich dabei um die hier stationierte Parkwächterin Anna Jiullia, die dann auch direkt auf mich zukommt und fragt, ob… Nein, nicht ob ich illegal durch das Schutzgebiet wandern will. Sondern, um mich zu einer Strandsäuberungs- und Müllsammelaktion einzuladen, bei der ich auch die Möglichkeit hätte, den ansonsten nicht zugänglichen Strand kennenzulernen.
Natürlich sage ich zu, und eine halbe Stunde später wandere ich mit ihr und vier weiteren Personen den Strand entlang. Aufgrund der vorherrschenden Strömungen sammelt sich vor allem im Ostteil des Strandes viel Müll an. Und es ist wirklich erschreckend, diese Müllmengen am Strand zu sehen. In einem Schutzgebiet auf einer Insel, fernab der Touristenzentren. Klar, Rio de Janeiro ist nicht weit, und den Etiketten auf den Plastikteilen nach zu urteilen ist der Großteil dessen, was man hier findet, aus Brasilien. Feuerzeuge, Strohhalme, Kugelschreiber, aber auch Fischernetze. Wir machen uns also ans Werk, und nach gut zwei Stunden ist zumindest dieser Teil des Strandes sauber, und der Müll in Säcken unter einem Baum, wo er in ein paar Tagen per Boot abgeholt wird.
Auf dem Rückweg spreche ich Anna Jiullia auf meine Pläne an, und sie verspricht, sich am Nachmittag um eine Genehmigung für mich zu bemühen. Ich nehme schonmal vorweg, dass diese Genehmigung einige Stunden und ein paar Emails später auch tatsächlich erteilt wird, und ich am nächsten Morgen ganz legal weiterwandern kann.
Ein nachdenklicher Nachmittag
Etwas südlich von Aventureiro liegt der Pedra da Sundara, ein Aussichtspunkt hoch über der Bucht, mit einem herrlichen Ausblick auf diesen Teil der Insel. Das lasse ich mir natürlich nicht entgehen, und die etwa einstündige Wanderung lohnt sich absolut, auch wenn das Wetter leider nicht schön genug ist, um postkartentaugliche Fotos zu machen. Aber ich bekomme einen Eindruck von den Stränden, an denen ich morgen wandern will, und von dem menschenleeren Hinterland im Inneren des Schutzgebietes.
Den Rest des Tages bis zum Abendessen verbringe ich am Strand. Allerdings nicht zum Baden, sondern zum Nachdenken. Wenn sich hier, wo eigentlich keine Touristen rumlaufen, und auch kaum jemand wohnt, solche Mengen an Müll ansammeln, wie sieht es dann erst anderswo aus? Zwar ist die Plastikmüllproblematik der Weltmeere mittlerweile im öffentlichen Bewusstsein angekommen, aber dadurch allein verbessert sich ja noch nicht so viel. Hier ist nicht nur eine bessere Müllverwertung gefragt, sondern vor allem eine Änderung im Konsumverhalten, sprich: Müllvermeidung. Und das vor allem in den Schwellenländern.
Abends fängt es dann doch noch an zu regnen, und scheint auch nicht mehr aufhören zu wollen. Aber da das Nachtleben in Aventureiro auch heute eher nicht existent ist, verschwinde ich nach dem Abendessen mal wieder zeitig im Zelt. Dort schreibe ich die letzte der oben erwähnten Emails. Und gehe mit dem guten Gefühl schlafen, morgen entspannt wandern zu können, statt hoffen zu müssen, nicht erwischt zu werden.