Nach dem gestrigen „Ruhe“-Tag (der ja so ruhig gar nicht war) geht es heute zum vermeintlichen Höhepunkt meiner Insel-Rundwanderung. Die Praia do Sul und Praia do Leste warten auf mich, zusammen etwa sechs Kilometer menschenleerer Sandstrand, der nicht öffentlich zugänglich ist. Nach dem Abbau des Zeltes hole ich mir noch die gedruckte Version meines Permits ab, das mir das Betreten dieser Strände erst erlaubt. Da es die vergangene Nacht ordentlich geregnet hat, geht es die ersten zwanzig Minuten über nasse Felsen. Anna Jiullia, die Parkwächterin, macht sich Sorgen, und legt mir einen Trampelpfad um die Felsen herum nahe. Ich kann sie jedoch beruhigen, und mache mich am späten Vormittag auf den Weg.

Auf dem Weg zur Praia do Sul, Ilha Grande
Auf dem Weg zur Praia do Sul

Meine Wanderschuhe baumeln am Rucksack, mit ein paar „Wandersandalen“ geht es relativ problemlos über die erwähnten Felsen, und barfuß geht es weiter durch den Sand. Dass dies mit 16 oder 18 Kilogramm auf dem Rücken gar kein so einfaches Unterfangen ist, wird mir schnell klar. Ich halte mich nahe an der Wasserlinie, da mir hier der Sand am härtesten scheint, und ich nicht bei jedem Schritt bis zu den Knöcheln einsinken will. Dabei schaffe ich es sogar noch, neuen Plastikmüll aufzusammeln, und diesen bis zum Müllsammelpunkt von gestern mitzunehmen.

Sand und Mangroven

Als ich mitten auf dem Strand zwei Surfer treffe, die offensichtlich in Aventureiro übernachten, kommt mir erneut der Gedanke, dass ich vielleicht der einzige bin, der sich hier mit der erforderlichen Genehmigung bewegt. Zwei Stunden später wird mir auch noch ein Fischer über den Weg laufen. Hier stellt sich dann die ethische Frage, inwieweit man die lokale Bevölkerung, die sich hier schon Jahrzehnte bewegt, ohne Schaden anzurichten, den Umweltschutzauflagen unterordnen soll. Wieder in der Zivilisation werde ich ein paar Tage später eine Mitteilung entdecken, wonach Parkwächter Fischernetze aus dem Wasserlauf entfernt haben, der die Lagunen im Schutzgebiet mit dem Meer verbindet. Selbst meine Wandergenehmigung erlaubt mit nur den Aufenthalt an den Stränden, das Hinterland mit seinen beiden Lagunen bleibt tabu…

Mangroven zwischen der Praia do Sul und der Praia do Leste, Ilha Grande
Mangroven zwischen der Praia do Sul und der Praia do Leste

Gegen Mittag gelange ich ans Ostende der Praia do Sul, und damit an den erwähnten Wasserlauf. Den muss ich durchqueren, und das ist wohl der spannendste Teil des Tages. Ich gehe erstmal ohne Rucksack los, um einen möglichen Weg durch die Mangroven zu finden. Das gelingt mir recht schnell, und nachdem ich mich vergewissert habe, dass das Wasser nie mehr als hüfttief ist, gehe ich zurück, um meinen Rucksack zu holen. Nachdem ich mit Gepäck auf der anderen Seite ankomme, mache ich erstmal eine Pause.

Auch an der Praia do Leste, dem kürzeren Teilstück dieses Mega-Strandes, ändert sich das Wetter nicht. Vielleicht ist das auch ganz gut so, denn bei Sonnenschein würde ich noch mehr schwitzen und müsste mich außerdem deutlich mehr um das regelmäßige Auftragen von Sonnenmilch bemühen. Hier kommt mir ein Einheimischer entgegen, aber wir grüßen uns nur kurz, dann geht jeder weiter seines Weges. Ansonsten besteht meine Gesellschaft nur aus einigen Vögeln, die zwischen den Bäumen umher fliegen, oder, auf der Suche nach etwas Essbarem, über den Strand hoppeln.

Zurück in den Dschungel

Praia do Leste, Ilha Grande
An der Praia do Leste

Gegen halb drei komme ich am Ostende des Strandes an. „Schade eigentlich“ denke ich – schließlich waren es diese drei bis vier Stunden, die die Essenz dieser Inselumrundung ausmachen. Zumindest für mich. Ab jetzt bin ich gefühlt wieder auf dem Rückweg nach Abraão.

In den folgenden zwei Stunden hat mich aber erstmal der Dschungel zurück. Und das auf dem größtenteils überwucherten und damit wildesten Pfad der Insel, zwischen der Praia do Leste und Parnaioca. Alle fünf Meter laufe ich in Spinnennetze, die ich mir anschließend aus dem Gesicht und den Haaren streife. Aufgrund des Regens der vergangenen Nacht ist das Unterholz hier klatschnass. Genauso wie ich nach zehn Minuten auch. Und natürlich geht es wild bergauf und bergab, und aufgrund der Vegetation sieht man nicht, wo man sich im Verhältnis zur Küstenlinie befindet. Oder wieviel man schon zurückgelegt hat und wieviel noch vor einem liegt.

Strand von Parnaioca, Ilha Grande
Ankunft am Strand von Parnaioca

Erst nach zwei Stunden öffnet sich der Blätterwald, und über Felsen gelange ich an einen Strand. Das muss Parnaioca sein. Aber… hier gibt es nichts. Tote Hose. Am anderen Ende des Strandes sehe ich ein paar Häuser. Verschlossen und verlassen. Etwas unsicher ob meiner zu erwartenden Übernachtungssituation gehe ich weiter. Nach einigen Metern geht ein Pfad links in den Wald, und an der Kirche und dem Friedhof vorbei geht ein Weg nun parallel zum Strand. Kurz darauf bin ich erleichtert. „Camping da Marta“ taucht vor mir auf, und es stehen sogar ein paar Zelte hier (die allerdings alle leer sind, um an zelt-lose Wanderer vermietet werden zu können).

Parnaioca

Marta ist eine nette, lustige, schwarze Mittfünfzigerin, lebt hier mit ihrem Vater und drei Kindern, und betreibt einen von zwei Zeltplätzen im Dorf. Wenn man das Ganze hier als Dorf bezeichnen will. Parnaioca und vor allem Aventureiro unterscheiden sich deutlich von allen anderen Siedlungen auf Ilha Grande. Saco do Céu oder Provetá etwa sind normale Siedlungen, mit Fischern, Schulen und kleinen Läden, und der Tourismus in Form von Pousadas oder Restaurants spielt nur eine Nebenrolle. In Parnaioca hingegen scheint es außer den Zeltplätzen praktisch nichts zu geben, und auch Aventureiro ist mit seinen sechs oder acht Zeltplätzen deutlich auf den Low-Budget Tourismus zugeschnitten. Dort sind zumindest im Sommer auch viele Surfer anwesend, während Parnaioca offensichtlich nur existiert, um Inselumwanderern wie mir eine Übernachtungsgelegenheit zu bieten.

Außer mir ist noch Alicia anwesend, eine junge Spanierin, die morgen nach Aventureiro weiter will. Eine Genehmigung für die Reserva Biológica hat sie nicht, und auch sonst scheint sie relativ unbekümmert in die Welt hinausgezogen zu sein. Offensichtlich ist sie deutlich hungriger als ich, denn sie verdrückt ihr Abendessen bereits, während ich noch unter der Dusche bin, und verkriecht sich bereits in ihr Zelt, während ich noch auf mein Essen warte. Da es alsbald auch wieder anfängt zu regnen, leistet mir auch niemand von Martas Familie Gesellschaft, und so verdrücke ich mein Abendessen mal wieder alleine.

Auf die Frage nach Internet (das extra kosten würde) antwortet man mir „Heute nicht.“ Wegen dem Gewitter. Ist aber auch nicht schlimm, denn die Luftfeuchtigkeit ist mittlerweile so hoch, dass ich – im Gegensatz zur vorherigen Nacht – den Laptop gar nicht erst anschalte. Stattdessen geleiten mich recht bald das Geräusch des Regens und der Brandung in einen tiefen Schlaf.