Bolivien – kaum ein anderes Land weckt so dermassen Assoziationen mit dem Kontinent, auf dem es sich befindet. Brasilien? Ein schönes und interessantes Land, aber mit der „falschen“ Sprache. Chile? Viel zu international geprägt, mit seinen Shopping-Malls. Kolumbien? Na, das ist eher Karibik als Südamerika. Und so könnte die Aufzählung weitergehen. Bolivien dagegen vereint alleine schon aufgrund seiner Geographie – es beinhaltet Hochanden genauso wie tropischen Regenwald – verschiedene Kulturen, die alle stellvertretend für Südamerika stehen könnten, und hat zudem ein Preisniveau, das kaum weiter vom europäischen (oder auch nordamerikanischen) entfernt sein könnte.
Von 0 auf 17 (Nichten und Neffen) in fünf Tagen
Was aber viel wichtiger ist: Meine Freundin kommt aus Bolivien, und ein Großteil ihrer Familie ist natürlich immer noch dort. Nachdem ich vorher bereits zwei Mal die Südwestecke dieses Landes bereist hatte, war es irgendwann an der Zeit, mit La Paz die vielleicht bekannteste Stadt dieses Landes zu besuchen, die zudem Regierungssitz und (zusammen mit El Alto) die zweitgrößte Stadt des Landes ist, hinter dem weiter östlich gelegenen Santa Cruz de la Sierra.
Das Ganze war also ein Familienbesuch. Das machte die Logistik etwas einfacher, wir wurden mitten in der Nacht (der günstigste Flug verließ Santiago um 0:30 Uhr…) am Flughafen abgeholt und bei einer meiner Schwägerinnen untergebracht. Ich verwende jetzt einfach diese Familienbegriffe, auch wenn wir nur eine sogenannte wilde Ehe führen… Familie definiert sich nicht unbedingt auf dem Papier, sondern dadurch, wo man sich wie in einer Familie fühlt…
Eine wahnsinnige Geographie
El Alto, bis 1985 ein Stadtteil von La Paz, aber seitdem eine eigenständige Stadt und seit einigen Jahren mit mehr Einwohnern als La Paz selbst, liegt auf 4100 Metern auf einem Hochplateau, Teil des bolivianischen Altiplano. Östlich davon erstreckt sich der mehrere jundert Meter tiefe Canyon des Rio Choqueyapu, innerhalb dessen (und an dessen Hängen), zwischen 3200 und 4000 Metern, sich La Paz befindet. Und dieser Lage kann man sich nirgends entziehen. Es gibt in der gesamten Stadt vermutlich kaum ein paar ebene Quadratmeter, dafür aber etliche Steigungen, Gefälle, Tunnel, Kurven und Brücken, welche die Stadt für einen Neuankömmling zu einem wahren Irrgarten machen. Das Massentransportmittel ist hier keine U-Bahn, sondern Seilbahnen, deren Bau seit einigen Jahren vorangetrieben wird, und die nicht nur La Paz mit El Alto, sondern auch verschiedene Stadtteile miteinander verbinden. Die Straßen nach El Alto sind dagegen ein echtes Abenteuer: das Taxi, das uns nach mehreren Tagen Aufenthalt zum Flughafen brachte, kam selbst im ersten Gang einige Steigungen nur in Schlangenlinien hoch.
Die Familie
Neben der Schwester meiner Freundin mit ihrer Familie, wo wir unterkamen, konnte ich nicht nur an mehreren Abenden (mit gemeinsamen Kneipenbesuchen und Abendessen daheim) die gesamte Familie mit allen Brüdern, Schwestern, Nichten und Neffen kennenlernen, sondern mit Teilen der Familie auch ein Touristikprogramm unternehmen. Neben dem „Camino de la Muerte“, über den ich noch schreiben werde, besuchten wir einige sehenswerte Orte in La Paz. Das Beste war allerdings, wie vielleicht zu erwarten, aber dennoch sehr bewegend, die Aufnahme in die Familie. Zwar war ich auch „der Neue“ und dementsprechend, sagen wir mal, interessant, aber man merkte doch ein ernsthaftes Interesse an mir als Person. So als hätte ich schon immer dazugehört. Und eine Herzlichkeit, die man in den Konsumgesellschaften der Industrieländer vielleicht nicht mehr so oft erlebt. Wobei – das sei auch erwähnt – Familien mit sechs oder acht Geschwistern etwa in Deutschland schon lange die Ausnahme darstellen.
Die touristischen Highlights
Nun war der Familienbesuch zwar der Grund für die Reise, aber vielleicht interessiert ihr euch letztendlich mehr dafür, was es vor Ort zu sehen oder zu erleben gab. Hier also eine kleine Auswahl der Sehenswürdigkeiten – natürlich völlig subjektiv zusammengestellt und alles andere als vollständig – das kann man bei einem 4-Tage-Besuch (bei dem de facto nur etwa eineinhalb Tage wirklich ein touristisches Programm in La Paz beinhalteten) auch gar nicht anders erwarten.
Zunächst muß man natürlich die Seilbahnen benutzen (möglichst nicht zur Rush Hour), das kostet nicht viel und man erhält so einen guten Überblick über die Stadt und ihre Lage, was anders – siehe oben – schwer möglich ist.
Eine dieser Seilbahnen führt hinauf nach El Alto, von wo man nicht nur eine hervorragende Aussicht auf La Paz hat, sondern auch auf die hohen Berge in der näheren Umgebung.
Unvermeidlich kommt man auf dem Weg nach oben an diesen abenteuerlich am Hang klebenden Siedlungen vorbei. Während die wohlhabende Bevölkerung weiter unten lebt, müssen sich weniger gut betuchte mit den beengten Verhältnissen hier oben anfreunden.
Das Zentrum der Stadt liegt da schon einige hundert Meter tiefer und ähnelt dank der Hochhäuser anderen Großstädten. Das in ganz Amerika im Schachbrettmuster angelegte innerstädtische Straßennetz ist hier allerdings aufgrund der geographischen Besonderheiten nur in einem kleinen Teil des Zentrums präsent.
Und während die ganze Stadt im Canyon des Rio Choqueyapu liegt, ist das eigentlich Flußbett vor allem ein Verkehrshindernis, das man unter anderem mit den Trillings-Brücken aus dem Weg geräumt hat. Vermutlich durch hin und wieder auftretende Überschwemmungen wurde dieses Flußbett (bisher) auch bei der Bebauung weitgehend ausgespart.
Von den nicht sehr zahlreichen Sehenswürdigkeiten der Stadt ist vor allem die Plaza Murillo interessant, auf der 1810 der namensgebende Freiheitskämpfer Pedro Domingo Murillo mit einigen seiner Getreuen gehängt wurde.
Im Süden der Stadt, etwas ausserhalb, liegt schließlich das Mondtal, das mit seinen durch die Erosion gebildeten Steinformationen zu kurzen Wanderungen einlädt.
Wie gesagt, war dies nur ein kurzer Besuch, und auch von meinen Fotos habe ich hier nur einige repräsentative ausgewählt. Vielleicht hat ja trotzdem der ein oder andere von euch Lust auf La Paz bekommen – ich für meinen Teil werde definitiv noch einige Male hierher zurückkehren.